Ein Kommentar im ND zu Castor Schottern 1.0

Niels Seibert, ND vom 27.11.2010

Für Aktivisten, die in Bewegung bleiben wollen

Der Aufruf klang vielversprechend: zu Tausenden an die Schiene kommen, die Schottersteine aus dem Gleisbett entfernen, damit die Strecke für den Atommülltransport nach Gorleben unpassierbar wird. Ein bewusster, kollektiver Regelverstoß gemäß dem Motto »Atomausstieg bleibt Handarbeit«.

Die Aktion sollte ähnlich wie die Blockaden beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 massentauglich sein, aber auch einen Schritt weitergehen: Autonome und Aktivisten aus dem Anti-AKW-Widerstand, der Interventionistischen Linken und anderen sozialen Bewegungen planten, während des diesjährigen Castor-Transports zwischen Lüneburg und Dannenberg aktiv in das Geschehen einzugreifen, die Gleise zu unterhöhlen und etwas zu schaffen, das bleibt, wenn man selbst längst wieder woanders ist: ein großes, breites Loch. Die Kampagne »Castor? Schottern!« bot in diesem Jahr eine Aktionsform jenseits der bewährten Sitzblockaden an – für alle, die sich nicht hinsetzen, sich nicht wegtragen lassen, sondern in Bewegung bleiben wollen, um flexibel und weniger berechenbar zu sein.

Geschottert wird, seit es Castor-Transporte gibt. Die Widerstandsform steht auf dem wendländischen Aktionstableau zwischen Sitz-, Trecker- und Materialblockaden, Events von Greenpeace oder anderen Organisationen, klandestinen Kleingruppenaktionen wie Sabotage an Bahnanlagen oder der Infrastruktur der Repressionsorgane. Die Vielfalt und Kreativität des Anti-AKW-Widerstands ist seine Stärke, woraus die gegenseitige Akzeptanz der Mittel resultiert. Jede Aktion trägt schließlich auch dazu bei, Polizeikräfte zu binden, was wiederum anderen Spielräume öffnet.

Neu am Schottern in diesem Jahr war, dass offen dazu aufgerufen wurde und das Schottern massenhaft geschah. Menschen aus der Kampagne zeigten – trotz Repressionsandrohungen – Gesicht, waren ansprechbar und erreichten damit eine starke Präsenz in Medien und Öffentlichkeit. Interessierte informierten sich auf Webseiten, Flugblättern und auf Veranstaltungen über das Vorhaben. Während der Schotter-Trainings übten sie, wie man effektiv schottern und sich gegen die zu erwartende Polizeigewalt schützen kann.

»Castor? Schottern!« war für viele attraktiv. Weit über 1000 Personen und Gruppen unterzeichneten den Aufruf, bis zu 4000 Menschen haben sich an der Aktion beteiligt. Die Zeit war offensichtlich reif für eine neue, actiongeladene Widerstandsform, die auf gesellschaftliche Breite abzielte und Elemente von Sabotage enthielt – und damit eine Lücke im Aktionsrepertoire zwischen öffentlich angekündigter Massensitzblockade und klandestiner Kleingruppenaktion füllte.

Die Schotterer waren bereit, eine Konfrontation einzugehen und Strafverfahren, aber ebenso Prügel, Pfefferspray und Tränengas in Kauf zu nehmen. Und sie haben sich dagegen geschützt: teils vermummt, um von staatlichen Repressionsbehörden nicht identifiziert zu werden, teils mit Visier vor den Augen, mit Luftmatratzen, Polster und Planen gegen Tränengas und Polizeiknüppel.

Der Kampagne »Castor? Schottern!« ist es gelungen, eine massenmilitante Aktion zu organisieren und durchzuführen. In der Öffentlichkeitsarbeit hat sie jedoch die Chance vertan, sich den Begriff »militant« wieder anzueignen, inhaltlich zu füllen und damit positiv zu besetzen – beispielsweise mit Bezügen auf die Kämpfe für das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren oder die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA vor 50 Jahren, die als militant und oft auch gewaltfrei charakterisiert wurden. »Militant« hat nämlich, anders als »ziviler Ungehorsam«, dem eine Abgrenzung gegenüber bestimmten Protestformen innewohnt, das Potenzial, zu einem spektrenübergreifenden, mobilisierenden Schlüsselbegriff zu werden.

Auch wenn die Aktivistinnen und Aktivisten von »Castor? Schottern!« bei ihrem diesjährigen, ersten Versuch, den Atomtransport nicht unmittelbar aufhalten und auch keine ausreichend breite Löcher buddeln konnten, die für den Reparaturzug ein größeres Problem dargestellt hätten, auch wenn sie von der Polizei reichlich mit Pfefferspray eingedeckt wurden, waren sie guter Stimmung. Sie haben etwas Neues gewagt und dabei Momente erlebt, die sie aus ihrem Alltag nicht kennen: Mit vielen hundert Menschen gemeinsam und koordiniert unterwegs zu sein, zusammen zu diskutieren und sich basisdemokratisch über das weitere Vorgehen zu verständigen. Sie haben sich in Bezugsgruppen organisiert, selbstbestimmt gehandelt und konnten sich aufeinander verlassen. Und sie erlebten, dass man vor der Polizei nicht wegrennen muss, dass es mit den nötigen Vorkehrungen sogar möglich ist, einzelnen prügelnden Polizisten standzuhalten. Das alles war für viele nachhaltig beeindruckend. Diese neuen Erfahrungen kann ihnen keiner mehr nehmen.

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