Wildcat zu Castor Schottern 1.0

Ein Auswertungstext der Wildcat zur Kampagne Castor? Schottern!

Nach dem CASTOR ist nicht nur vor dem CASTOR

Mit über 24stündiger Verspätung war dieses Jahr der längste Castor-Transport. Das ist zweifelsohne ein Erfolg der massiven Mobilisierung ins Wendland, die so groß war wie noch nie. Im folgenden eine erste Bestandsaufnahme, ausgehend von persönlichen Erfahrungen während der Tage.

Wer bewegte sich?

Zunächst die Bauern, die mit hunderten von Treckern vor Ort waren und mit flexiblen Straßenblockaden die Mobilität der Polizei erheblich einschränkten. In der Göhrde »verhafteten« sie einen Wasserwerfer und ein Räumfahrzeug, die in eine Blockade reingefahren waren. Nachschub- und Ablösetruppen kamen nicht rechtzeitig zu ihren Einsatzorten, womit die Polizeistrategie erheblich durcheinander geriet. Ein wichtiger Punkt der »Überforderung«, wie sie von der Einsatzleitung konstatiert wurde.

Die große Kundgebung mit 50 000 am 6.11. war ähnlich zusammengesetzt wie die 4-5000 AktivistInnen, die insgesamt die Tage über im Wendland unterwegs waren: viele SchülerInnen und StudentInnen, oft in Umwelt-, Antira- oder Antifagruppen tätig; weiterhin prekär Beschäftigte und »Selbstständige« aus Pädagogik und IT-Bereich; Arbeitslose; auffallend viele HandwerkerInnen (sowohl »Freie«, als auch ganz normale kleine regionale Handwerksbetriebe, die z.T. Material für die Logistik des Widerstandes bereitstellten); Beschäftigte aus sozialen Dienstleistungsbereichen; vereinzelt ArbeiterInnen aus Industrie- und Dienstleistungsbetrieben.

Was haben wir geredet?

Am Lagerfeuer, beim Essen, auf Kundgebungen kam man schnell auch auf allgemeinpolitische Themen. Häufig ging die Kritik über die Atompolitik hinaus gegen die derzeitige Klientelpolitik der Regierung für Reiche und Konzerne. Man bezog sich nicht nur auf den Kampf gegen S21, sondern auch auf andere Konflikte und soziale Fragen. Auf einer Kundgebung sprach ein Redner z.B. von den besetzten Werkstoren der bestreikten Atlas-Werke in Delmenhorst, von wo er gerade gekommen war.

Offiziell war aber diese allgemeine Unzufriedenheit der Leute, die zur Mobilisierung beigetragen hatte, kein Thema. Das politische Feld wurde den selbsternannten Politikern der Anti-AKW-Bewegung überlassen, die den öffentlichen Diskurs weiterhin bestimmen. Auf der Großkundgebung am 6.11. in Dannenberg gab es z.B. nur Transparente gegen die Atomkraft und Bezüge auf Stuttgart21.

PiolitikerInnen der Grünen und der SPD konnten ungestört auftreten. Jochen Stay von ausgestrahlt hofft jetzt auf »ein … Bekenntnis aus Berlin …«, dass »ein Endlager in Gorleben nicht durchsetzbar ist«.

Die jüngsten Verlautbarungen von Politikern aus Niedersachsen und Hessen, andere Endlagerstandorte zu prüfen, wird von Greenpeace positiv bewertet: »endlich ein Stück Verantwortungsbewusstsein in der Atomdebatte der Union«.

Die Kampagne »Castor Schottern« lässt Politikern der Linkspartei breiten Raum. Der rot-grüne Regierungsantritt 1998 hat zu einen Abflauen der Anti-AKW-Bewegung geführt. Als Regierungsparteien haben sie dann mit ihren sogenannten Atomkonsens 2002 den Weiterbetrieb bestehender AKW‘s bis zu 32 Jahren ermöglicht.

Gelingt es, die Unzufriedenheit auf einen rot-grünen Regierungswechsel mit »linker« Unterstützung umzulenken, drückt das nicht die Stärke der Bewegung aus, sondern ihre Schwäche. Alternativ/regenerative Kapitalistenverbände traten unkritisiert auf und boten einen grünen Kapitalismus an.

»Castor Schottern« ein Erfolg? – oder Leute verheizen für eine Medienkampagne?

Dem Aufruf »Castor Schottern – Atomausstieg bleibt Handarbeit« folgten mehrere tausend Menschen. Mehr als die Kampagnen-Organisatoren erwartet hatten. Oft Leute, die genug hatten von defensiven Sitzblockaden, bis einen die Polizei wegträgt. Es ist gelungen, an mehreren Stellen auf der Strecke von Lüneburg nach Dannenberg das Gleisbett zu beschädigen. In ihrer letzten Pressemitteilung vom 8.11. zog die Kampagne ein positives Resümee. Erfahrungen und Berichte von Leuten, die sich am Schottern beteiligt haben, sind widersprüchlicher.

Für die direkte Aktion sollte nach der 5-Finger-Taktik verfahren werden. »Wir waren als Bezugsgruppe nicht direkt bei den Aktivisten, sondern hatten uns zu ihren Schutz eingeteilt. Das war schon beeindruckend, als sich der lange Zug Richtung Gleise in Bewegung gesetzt hat. Unser Problem war aber, dass wir unseren Finger nicht richtig gefunden haben. Zwei Finger vermischten sich, und als wir an die Gleisen kamen, ging es gleich richtig los. Die Bullen spritzen Pfefferspray und Tränengas und trieben uns in den Wald. Wir zogen uns in die Breite und starteten einen weiteren Versuch, der aber auch scheiterte. Die Bullen trieben uns immer weiter in den Wald. Sie machten keine Gefangenen, sondern zersplitterten uns immer mehr, bis nur noch kleine Gruppen im Wald rumliefen. Die einen gingen zu den Gleisblockaden von »widersetzen« oder »X-tausend-mal-quer«. Eine andere wollte nichts mit uns zu tun haben. Also sind wir zurück und hofften, uns wieder mit Leuten zu treffen. Es sollte ein Rückzugsplenum geben, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Aber während dieses noch tagte, kam eine größere Gruppe aus dem Wald und forderte die Leute auf, sofort in Richtung Gleise zu stürmen, da an der Stelle wenig Bullen wären. Wir und ein Teil sind losgestürmt – aber wieder an den Bullen, die sich schnell da massiert hatten, gescheitert.«

»Die Strategie war eine von Leute verheizen. Ich war mit meiner Gruppe ganz vorne. Als wir an die Gleise kamen, gingen wir aber nicht wie verabredet mit den Fingern in die Breite, sondern stoppten, bis die Bullen sich an der Stelle zusammengezogen hatten, dann liefen wir auf Kommando in die Bullen, die massiv Pfefferspray und Tränengas einsetzten. Wir sind nicht auf die Gleise gekommen.«

»Wir auch nicht – haben aber die Polizei in Bewegung gehalten. Ich glaube, damit haben wir sie gebunden, so dass an anderer Stelle Leute schottern konnten.«

»Wir sind mit etlichen Leuten auf die Gleise gekommen. Da waren keine Bullen und wir konnten schottern. Wurden aber bald wieder vertrieben.«

»Es war alles ein wenig chaotisch – auch die Bullen. Die waren wohl wegen der vielen Leute überfordert und konnten nicht überall sein. Die haben sich ja manchmal selber mit ihren Rumgewurschtele mit den Tränengaspatronen verletzt. Dann sind Leute auf die Gleise gekommen und konnten schottern.«

Die Beschädigungen am Gleisbett gingen eher auf die Hartnäckigkeit und Ausdauer der Demonstranten zurück, denn auf eine Taktik. Falls der erste Anlauf auf die Gleise scheiterte, gab es keinen Plan für alternatives Handeln. Das blieb den Leuten selbst überlassen, was punktuell auch funktionierte. Dass die Polizei teilweise zu schwach war, die Gleise auf der ganzen Strecke zu schützen, lag auch an den Bauernblockaden. Die beschädigten Gleisstellen konnten mit einen Reparaturzug für den Castor-Transport sehr schnell befahrbar gemacht werden.

Das größte Hindernis auf dem Weg zum Verladekran war die Gleisblockade der über 3000 Menschen. Der schlossen sich viele Schotterer an.

Die offizielle Kampagne hat sehr viel Wert auf Pressearbeit gelegt. Zum Vorbereitungsplenum am Tag davor war Presse eingeladen. So konnte die Financial Times Deutschland am 7.11. ausführlich und denunzierend darüber berichten. Auch wenn die genauen Orte des Eingreifens auf dem Plenum nicht bekanntgegeben wurden, konnte die Polizei doch in etwa das Gebiet erfassen. Pressevertreter wurden mit Helmen gekennzeichnet auf die Märsche in Richtung Gleise mitgenommen – zum Schutz und zur Dokumentation von Polizeiübergriffen. Politiker der Linkspartei kamen in den Presseerklärungen ausführlich zu Wort.

Resümee

Die Castoren sind im »Zwischenlager« – wenn auch mit erheblicher Zeitverzögerung und Kostenaufwand. Die Polizei war am Ende ihrer Kräfte. Die Polizei-Gewerkschaft schlug sogar ein Vermittlungsgespräch vor. Wie hätte der Staat reagiert, wenn der Einsatz sich länger hingezogen hätte?

Die 25 Millionen Einsatzkosten muss nicht die Energiewirtschaft bezahlen, sondern der Staat – die Regierung wird sie an anderer Stelle einsparen – womit wir wieder bei den gesellschaftlichen Bedingungen wären…

Ein Grund für die massive Mobilisierung war die breite Unzufriedenheit mit den derzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen. Diese artikuliert sich aber nicht. Die Beteiligung Tausender am Schottern zeigt eine hohe Bereitschaft, sich nicht mehr an die Regeln zu halten. Wir sollten unseren Willen was zu ändern aber nicht an »Widerstandsmanager« koppeln, die abgestufte Aktionen anbieten und dann mit uns Politik machen, die wir nicht wollen. Wir sollten uns auch Gedanken machen, wie wir bei zukünftigen Transporten die Infrastruktur der kapitalistischen Warenströme ins Visier des Widerstands nehmen. Denn in letzter Konsequenz beherrscht die Polizei die Castor-Strecke.

Nach dem CASTOR ist nicht nur vor dem CASTOR, sondern auch kapitalistischer Alltag.

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