Kröten schlucken für den Atomausstieg? Gegen die Verspargelung der Energiewende-Debatte

Die großen Energiekonzerne brauchen offensichtlich für ihr Wohlbefinden eine gesellschaftliche Gruppe, auf die sie eindreschen können. Und sie wechseln dabei nicht gerne Pferd und Argument. Sie wettern vornehmlich gegen:

  • eine grundsätzliche Blockadehaltung
  • Partikularismus
  • Modernisierungsfeindlichkeit

und beschwören den Untergang des Standortes Deutschland. Nach Fukushima fällt es der Atom- und Energiekonzernelobby dabei etwas schwerer, diese Argumente gegen die Anti-Atom-Bewegung zu richten – was sicherlich nur ein temporärer Zustand ist. Insofern nehmen sie sich die Bürgerinitiativen vor, die gegen Stromtrassen oder Speicherkraftwerke kämpfen: „Blockadehaltung, Partikularismus, Modernisierungsfeindlichkeit!!!“ Weil: Für große Gewinne braucht es, wenn es schon um AKW schlecht steht, wenigstens große Trassen.

Die Süddeutsche Zeitung schlägt in ihrer Ausgabe vom 21.4.2011 in die gleiche Kerbe:

So, wie es jetzt läuft, da sind sich alle Experten einig, ist die Energiewende nicht zu schaffen. „Die aktuelle Situation macht uns ein Stück weit handlungsunfähig“, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Bürger protestieren gegen alle Arten von Kraftwerken, gegen Biogasanlagen, gegen Windräder. „Es fehlt ein gesellschaftlicher Diskurs aller Akteure.“

Und, wie schön, sogar das Resultat des Diskurses steht schon fest:

An dessen Ende müsse eine Gesellschaft stehen, die auch bereit ist, ein paar Kröten zu schlucken. „Aber das schafft man nicht in vier Wochen.“

Konzerne, die Infrastrukturprojekte umsetzen, tun also gut daran, neben den Ingenieuren auch ihr Personal in den Abteilungen Kommunikation und politische Beziehungen aufzustocken.

Aha. Die Gesellschaft schluckt Kröten, und die Konzerne kommunizieren, warum das schon alles richtig ist. So funktioniert also ein „gesellschaftlicher Diskurs aller Akteure.“

Diese Argumentation gehört, wie Alex Demirović vor einigen Monaten mit Blick auf das in dieser Hinsicht exemplarische Stuttgart21 ausführte, zu den Techniken moderner Herrschaft. Es soll sich an grundlegenden gesellschaftlichen (Energie-)Verhältnissen nichts ändern müssen. Die Technologie wird gewechselt, sonst bleibt alles gleich. Und Kröten gilt es, gut kommuniziert, zu schlucken. Dass sich hier ein handfester Machtkampf abspielt, wird so unsichtbar gemacht.

Hier Auszüge aus dem Text [hier der ganze Text auf den Seiten der analyse & ktitik]:

Seit Jahrzehnten wird die Logik kapitalistischer Technologiepolitik trotz aller Einwände weiterverfolgt. Charakteristisch ist, dass dieser großindustrielle Entwicklungspfad folgenignorant ist. Nichts ist gelöst: es gibt keine Lösung für die Endlagerung des Atommülls, es ist kein Ende abzusehen beim Ausbau der Zersiedelung der Flächen durch immer weitere Gewerbegebiete, Umgehungsstraßen, Autobahnen oder Schnelltrassen, bei der Abkoppelung vieler Gebiete von den schnellen Bahnverbindungen der großen Städte.

Seit Jahrzehnten gibt es Protest gegen diese Entwicklung. Eine Vielzahl von Bürgerinitiativen und Verbänden hat sich seit den 1970er Jahren gebildet. Es gibt Phasen, in denen solche Proteste auch von der offiziellen Politik als Bereicherung der Demokratie beschworen werden. In anderen Phasen wiederum wird befürchtet, dass solche Proteste die sog. Modernisierung des Landes aufhalten, die Wettbewerbsfähigkeit behindern und die Autorität des Staates und der demokratischen Instanzen untergraben. Die Herrschenden wissen nicht so recht, wie sie damit umgehen sollen. […]

[Stuttgart21] ist ein demokratisch-popularer Kampf gegen diejenigen, die seit Jahrzehnten in der Gestaltung der Verhältnisse immer so weiter machen, die Macht ausüben und gesellschaftlichen Reichtum aneignen, um auch morgen Macht ausüben und Reichtum aneignen zu können. […]

Demonstrationen, die Großprojekte in Frage stellen, wenden sich aus der Sicht der Herrschenden gegen die Demokratie. Doch Demonstrationen gehören zu den Spielregeln der Demokratie und vertiefen sie. Es gehört zu den definierenden Merkmalen der Demokratie, dass der demokratische Souverän das Recht zur Revision seiner früheren Entscheidungen hat. […]

[Das Problem besteht] in einer grundlegenden Demokratisierung der Demokratie. Eine solche Demokratie muss bis an die Entscheidungen über die gesellschaftlichen Entwicklungspfade, die Investitionen und die Technologiewahl reichen. Dies würde den Zustand beenden, dass die Leute immer hinterher protestieren müssen und sich in ihrer Machtlosigkeit auch noch vorhalten lassen müssen, dass sie gleich ihre Einwände hätten vorbringen können.

 

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