Bürger_innenbegehren kommunale Stromnetze unterstützen! Netz gilt’s!

DSC_0219Der Pachtvertrag für Berlins Stromnetze mit Vattenfall läuft im Jahr 2014 aus. Auf Initiative des Berliner Energietisches findet am 3. November eine Volksabstimmung mit dem Ziel der Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes statt. Wir meinen: Energieversorgung ist Daseinsvorsorge und soll daher Allen zugänglich sein, unabhängig davon wie viel materielle Güter sie besitzen. Auch wer nichts zahlen kann braucht Zugang zur Energieversorgung.
Wir wollen eine zu 100% erneuerbare und möglichst regional produzierte Energieversorgung in Berlin! Dezentrale Erzeugung mittels hocheffizienter, aber technologisch simpler Kraftwerke und Senkung des Energieverbrauchs sind die Grundlage dafür. Energie sparen bleibt die klare Zielvorgabe. Neuanschaffungen von energiesparenden Geräten, sind nicht das Nonplusultra, denn sie bedeuten global keine Energieeinsparung. Die Produktion von Gütern muss hingegen radikal reduziert werden. Die vorherrschende Produktions- und Lebensweise verbraucht zu viel Energie.

Wir wollen hier drei vom Energietisch genannten Ziele diskutieren, um Zuspruch und solidarisch gemeinte Kritik zu äußern.

Geschichte:
Im Energiesektor lassen sich verschiedene Tätigkeitsbereiche abgrenzen. Neben Energieproduktion und Handel werden Übertragung (überregional) und Verteilung (regional) von Strom unterschieden. Innerhalb der EU sind und waren die Besitzverhältnisse der Elektrizitätswirtschaft sehr unterschiedlich organisiert: Es existieren bis heute staatliche, privatwirtschaftliche und gemischt wirtschaftliche Strukturen.
Ab 1998 wurde der bis dahin regional und national monopolisierte Energiemarkt innerhalb der EU schrittweise liberalisiert. Eine organisatorische Trennung der Aufgabenbereiche der Energiebranche in Produktion und Bereitstellung, sowie die Privatisierung von kommunaler und staatlicher Energieversorgung und Netzen sollten aus den national unterschiedlich strukturierten Energiesektoren einen weitgehend einheitlichen europäischen Markt machen. Laut Gesetz sollte die Energieversorgung nun in verschiedene Unternehmen getrennt werden und zwar in Energieproduktion in Kraftwerken auf der einen und Energiebereitstellung über Leitungsnetze auf der anderen Seite. Ziel war eine Situation herzustellen, in der verschiedene Anbieter um die Kund_innen konkurrieren. In Deutschland konnten jedoch nach einer Phase der Fusionierung vier Energiekonzerne: EON, Vattenfall, RWE und ENBW eine marktbeherrschende Stellung erreichen und damit di e Preise bestimmen. Die propagierten  Strompreissenkungen sind  bis heute, mit Ausnahme von Großbritannien, nicht eingetreten. Dafür konnten die Kapitaleigner ihre Gewinne, nicht nur in Deutschland, seit der „Liberalisierung“ von 1998 mehr als verdoppeln.

Die Privatisierung des Energiesektors in Berlin war ein Ausverkauf städtischen Besitzes an private Unternehmen. In Berlin waren schon seit 1884 die Stadtwerke unter dem Namen Bewag für die Energieversorgung zuständig. 1997 erfolgte der Verkauf der Bewag-Mehrheitsanteile, durch den schwarz-roten Senat mit dem Ziel einer kurzfristigen Haushaltskonsolidierung. Der Senat stand am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Die Minderheits-Aktionäre Veba & Viag sowie der U.S. Konzern Southern Energies nutzten diese Situation und kauften die Bewag zu einem Preis, der damals geschätzte 500 Millionen unter Marktwert lag. Bankanalyst_innen prophezeiten schon damals Gewinnsteigerungen von 15 Prozent in den nächsten sieben Jahren, da die Modernisierung der Stromanlagen im Ostteil weitgehend abgeschlossen war und der bisherige Brennstoffeinsatz durch preiswerten Zukauf von Strom rasch sinken werde. Nach der Fusion von Veba und Viag zu Eon wurde der gemeinsame Anteil von 48,8 % 2001 an Vattenfall verkauft, Southern Energies verkaufte seine Anteile von 44,8% ebenfalls an Vattenfall – das damit 93,6% hielt. Vattenfall gehören seit dem sowohl Netz als auch Kraftwerke in Berlin.

Ist-Zustand:
Eon, RWE, ENBW und Vattenfall kontrollieren zusammen 85 % der Stromversorgung in Deutschland, besitzen die kompletten Übertragungsnetze und verfügen über einen bedeutenden Teil der lokalen Verteilernetze. Die Berliner Kraftwerke und das Stromnetz werden heute von Vattenfall, einem schwedischen Staatskonzern betrieben. Schweden schöpft 9% Rendite aus dem Gesamtgewinn von Vattenfall für den Haushalt ab. Das Stromnetz ist seit 1994 an Vattenfall gegen eine Konzessionsabgabe verpachtet, die an das Land Berlin gezahlt wird.Die Gebühr, die Vattenfall für die Durchleitung des Stroms erhebt, wird von der Bundesnetzagentur festgelegt und garantiert aktuell eine Rendite von 6 bis 8%.

Die Initiative Energietisch Berlin
Der Energietisch Berlin möchte durch ein Volksbegehren dafür sorgen, dass das Berliner Energienetz (und das damit zwangsläufig erwirtschaftete Geld) wieder in öffentliche Hand kommt. Die Möglichkeit dazu besteht, da Ende 2014 ein Vertrag mit dem Energiekonzern Vattenfall ausläuft, der das Netz und die Gewinne privatisiert. Parallel möchte der Energietisch die Gründung Berliner Stadtwerke anregen, die eine zu hundert Prozent dezentrale, nachhaltige, sozial ausgeglichene, demokratisch nach allen Regeln der Kunst legitimierte Stromversorgung aus erneuerbarer Energie gewährleistet.

Wir wollen hier die drei vom Energietisch genannten Ziele diskutieren, um Zuspruch und solidarisch gemeinte Kritik zu äußern: die Rekommunalisierung der Elektrizitätsnetze und die Berliner Stadtwerke sollen erstens eine ökologische, zweitens eine demokratische und drittens eine soziale Stromversorgung gewährleisten. Wir denken, dass die Rekommunalisierung einen Politisierungseffekt haben kann, der dazu führen kann, dass immer mehr Menschen die gesellschaftlichen Umstände nicht als gegeben hinnehmen, sondern das Bedürfnis aufkommt, das politische Leben selbst in die Hand zu nehmen. Vor dem Hintergrund der neoliberalen Liberalisierungs- und Privatisierungspraktiken der letzten 15 Jahre halten wir die Initiative für sehr unterstützenswert. Rekommunalisierung kann dazu beitragen, die Hegemonie des Privaten zumindest in den Feldern zu brechen, die zur unmittelbaren Grundversorgung der Menschen zählen (Wasser, Energie, ÖPNV, Wohnen, etc.). Wir wollen auch nicht verschweigen, dass die Gründung von Stadtwerken bisher aus bestimmten Gründen nicht zum Einmaleins unserer kleinen Gruppe gehört hat und wir Kämpfe in diesem Bereich eher auf Straße und Schiene verfolgt und wo wir konnten vorangetrieben haben.

Das Ziel der dezentralen Stromversorgung aus erneuerbarer Energie teilen wir. Wir finden es richtig, jede fossile und atomare Energiegewinnung für die Berliner Stadtwerke satzungsgemäß zu unterbinden. Alles andere wäre Quatsch, manche Technologiepfade müssen einfach gekappt werden. Wir sind es leid immer und immer wieder auf diese Gefahren hinzuweisen. Wir sind allerdings der Meinung, dass die Gründung der Berliner Stadtwerke und die Übernahme der Netze an der marktherrschenden Stellung der Energiekonzerne nichts ändert, und grundsätzlich die am Profit orientierte Art der Energieproduktion nur in geringem Umfang beeinflussen kann. Insofern ist für uns, wie, so vermuten wir, für viele der am Energietisch beteiligten Gruppen, die Abwicklung solcher Konzerne ein wichtiges politische Ziel, dem wir durch die Gründung von Stadtwerken nicht wirklich näher kommen. Uns ist klar, dass das auch nicht das Ziel der Initiative ist, aber das Dilemma der Abwicklung finden wir wichtig zu beachten.

Das Ziel der Demokratisierung der Energieversorgung und den sogenannten „sozialen Ausgleich“ sehen wir etwas differenzierter. Es soll gewählte Verwaltungsmitglieder geben (7 Angestellte des Unternehmens, die Senator_innen Wirtschaft und Soziales und Umwelt, 6 Berliner Bürger_innen). Der Einfluss der abhängig Beschäftigten auf die Belange der Stadtwerke soll gesteigert werden und nicht zuletzt soll die Möglichkeit für alle interessierten Bürger_innen Berlins, Auskünfte zu erlangen und Initiativen zu starten geschaffen werden. Letzteres soll auf regelmäßig stattfindenden Versammlungen vonstatten gehen. Erstmal klingt das gut: In Abgrenzung zu korrupten Konzernen und zum intransparenten Apparat der staatlichen Verwaltung sollen die Berliner Stadtwerke einladend wirken und uns zum Mitmachen anregen. Das ist wahrscheinlich so ungefähr das, was sich hinter der schwammigen Formulierung „Stadtwerke in öffentlicher Hand“ verbirgt. (Auch das staatliche Unternehmen Vattenfall ist in öffentlichen Hand.) Hier sind potentiell Möglichkeiten zur Selbstorganisation gegeben. Wir sehen nur in diesem konkreten Fall die Gefahr, dass auf den geplanten Versammlungen zwar Aushandlungsprozesse stattfinden, aber gar nicht in ernster Absicht ausgetragen werden können. Denn bis auf weiteres existiert der Markt, auf dem sich die Stadtwerke bewähren müssen. Dieser Markt setzt die Rahmenbedingungen,und bestimmt, welche Zielsetzungen verfolgt werden können und umsetzbar sind. Das soziale Ziel, allen Menschen einen sicheren Zugang zum Stromnetz zu ermöglichen, steht dem Zwang zum Gewinn entgegen.
Wir betonen diesen Punkt deshalb, weil wir uns etwas über die Euphorie wundern, mit der uns von den Partizipationsmöglichkeiten der zu gründenden Berliner Stadtwerken berichtet wurde. Um nicht falsch verstanden zu werden: wir finden es immer richtig, wenn Menschen für ihre Interessen kämpfen und die Sachen, die sie angehen, selbst in die Hand nehmen.

Uns sind Berliner Stadtwerke allemal lieber als Konzerne wie Vattenfall, die für Profite auch über Leichen gehen. Aber  auch ein grün lackierter Kapitalismus beutet sowohl Natur als auch Menschen aus. Die Form der Bereitstellung hat dummerweise keinen Einfluss auf den überhöhten Energieverbrauch unserer Gesellschaft. Er ist eine direkte Folge der kapitalischen Produktionsweise.

Vergesellschaftung der Energieerzeugung und -netze: Viele Fragen offen
Zielsetzung:
Energieversorgung ist Daseinsvorsorge und soll daher Allen zugänglich sein, unabhängig davon wie viel materielle Güter sie besitzen. Auch wer nichts zahlen kann braucht Zugang zur Energieversorgung. Wir wollen eine zu 100% erneuerbare und möglichst regional produzierte Energieversorgung in Berlin. Dezentrale Erzeugung mittels high-efficiency but low-tech Kraftwerken und Senkung des Energieverbrauchs sind die Grundlage dafür. Energie sparen bleibt die klare Zielvorgabe. Neuanschaffungen von energiesparenden Geräten, sind nicht das Nonplusultra, denn sie bedeuten global keine Energieeinsparung. Die Produktion von Gütern muss hingegen radikal reduziert werden. Die vorherrschende Produktions- und Lebensweise verbraucht zu viel Energie. Um einige dieser Dinge zu nennen, die für unsere Lebensweise so unverzichtbar scheinen:

  • Die Herstellung von zwei Alu-Getränkedosen verbraucht zehn Kilowattstunden, das ist der Tagesverbrauch eines Vier-Personen-Haushalts,
  • die Produktion eines Kühlschranks 905 kWh,
  • die Produktion eines Fernsehgerätes 732 kWh,
  • ein Computer 3000 kWh (sowie 1,5 Tonnen an Rohstoffen),
  • ein Auto 30.000 kWh (also der Strombedarf eines Vier-Personen-Haushalts für 10 Jahre).
  • Die Marktlogik beinhaltet ein „Verfallsdatum“ von Geräten, also eine Sollbruchstelle.

All dies und viele andere gesellschaftliche Probleme und Katastrophen sind im Kapitalismus und damit auch im Grünen Kapitalismus, eingebaut und um diese zu ändern, brauchen wir mehr als die Rekommunalisierung des Energienetzes. Wir brauchen Utopien die weitergehen, was aber nicht heißt, dass wir nicht auch Nahziele verfolgen können und somit auch innerhalb des bestehenden Systems etwas geändert werden kann.

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