Die Anti-AKW-Bewegung diskutiert: Welchen Sinn macht es in der momentanen Situation, sich auf ein Bündnis (Netzwerk, Schwarm,…) mit den Grünen einzulassen oder sich allgemein positiv auf das “realistische” Ausstiegsgelaber der rot-grünen Opposition zu beziehen? Die IL ist bspw. einer solchen Option gegenüber recht offen, Tadzio Müller von der Gruppe Gegenstrom Berlin sagt in der aktuellen ak, er vertraue darauf, dass die Ausstiegswünsche der Grünen Parteikader schon ernst gemeint sind.
Auf den großen Anti-Atom-Demos sind die Grünen mit ihrer Fahnen extrem dominant und beanspruchen vor allem eine Sprechposition „authentische Anti-Atom-Partei“.
Wir befinden uns in gewisser Hinsicht in einer Zeitschleife. Das Moratorium der konservativ-liberalen Regierung und vor allem die Diskussion um einen neuen Atomkonsens werden massiven Einfluss auf die Mobilisierungsfähigkeit der Anti-Atom-Bewegung haben. Es braucht nicht viel Phantasie um sich auszumalen, das Ende Mai die rot-grüne Opposition auf einen solchen neuen Konsens einlassen wird. Aber gut, das ist Spekulation.
Wir sollten aber weiterhin, gerade im Kontext von Fukushima und in bewusster Abgrenzung zum sich abzeichnenden Allparteien-Atomkonsens 2011, die Forderung nach einem sofortigen Stilllegung aller Atomanlagen stark machen. Wir dokumentieren deshalb Auszüge aus einem Text der Gruppe Anna-Liese Marburg. Er stammt nicht zufällig aus dem Jahr 2000, wurde also im Kontext von Atomkonsens No. 1 geschrieben (erschienen in: analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 436 / 16.03.2000)
Für eine Repolitisierung des Sofortausstiegs
Bis in die 90er Jahre stellten Forderungen nach der “Beendigung des Atomprogramms”, der “Energiewende” oder des “Sofortausstiegs” den Atomstaat BRD in Frage. Sie unterschieden sich vermeintlich nur im Grad der “Verbalradikalität”. Seit der rot-grünen Regierungsoption brechen die Widersprüche zwischen den vormals nur im Duktus verschiedenen AtomkraftgegnerInnen auf und werden sich wohl noch vertiefen. Realistische Kräfte werfen der Anti-Atom-Bewegung vor, sich einer konstruktiven Kritik der Atom-Konsens-Gespräche zu verweigern, und sich stattdessen in “Gejammer” und “Verbalradikalität” zu üben.
Zur Forderung nach der sofortigen Stilllegung heißt es dann:
“Die Forderung ist aber auch billig, weil sie die Antwort auf die Frage verweigert, wie aus einem unbefristeten Reaktorbetrieb auf einen Schlag ein befristeter wird. (…) Denn ich kenne niemanden, der seriös und unter Beachtung der rechtlichen und machtpolitischen Verhältnisse dargelegt hätte, was ,sofort` eigentlich bedeutet”.
Kritikwürdig ist hier das Verständnis politischer Praxis sozialer Bewegung, die sich daran zu messen habe, wie realistisch ihre Position sei. Diese Lesart fußt darauf, vorzurechnen, dass keine Lichter ausgehen, wenn morgen abgeschaltet würde und dass es verfassungsrechtlich zwingend sei, sofort stillzulegen. Argumente, dies zu belegen, gibt es zuhauf. Doch wie wirkt eine Bewegung auf den Atomkonflikt, wenn sie die kompetentere Version der Grünen spielen will?
Kern der Sofortausstiegsforderung ist nicht ihre Machbarkeit, sondern dass nur so der brutalen Realität der “friedlichen Nutzung der Kernenergie” entsprochen wird. Jede Debatte um Restlaufzeiten trägt dazu bei, die täglichen Opfer der Atomenergie in Uranabbaugebieten und an den Atomanlagen gegen Konzerninteressen bzw. volkswirtschaftliche “Sachzwänge” aufzurechnen. Das Aufmachen dieser Rechnung und nicht ihr vermeintlich falsches Ergebnis ist der Menschen verachtende Zynismus hinter den Konsensversuchen. Hier begründet sich das bedingungslose “Sofort” und hier ist die Trennlinie zu grüner “Realpolitik” – nicht in der schlichten Substraktion der verbleibenden 19 Jahre Restlaufzeit. Nur mit der Forderung nach sofortiger Stilllegung bleibt die Bewegung realistisch, also der Wirklichkeit der Betroffenen angemessen. Dieses “Sofort” ist weder ein linksradikales Identitätsprojekt noch ein alternativ zu den Grünen aufgestelltes realpolitisches Konzept – das wäre ein rein gradueller Unterschied zwischen außerparlamentarischer Bewegung und “ihrem” parlamentarischen Arm. Nein, die Forderung der “Sofortisten” entspricht dem Anspruch, dass parlamentarische Politik nur ein Teil politischer Intervention sozialer Bewegung sein kann. Nicht mehr und nicht weniger.
So radikal wie die Wirklichkeit
Das Ausklammern der realen täglichen, nicht bloß potenziellen Opfer bei Uranabbau und an den WAAs, macht es den Grünen heute so leicht, die Debatte auf Konzernbilanzen und juristische Machbarkeit zu verkürzen.
Niemand kann den Grünen vorwerfen, sie hätten in den Konsensgesprächen zu wenig erreicht. Unter dem Titel “Atomkonsens” kann nichts anderes herauskommen, als ein Wunschkonzert für die Atomkonzerne. Fatal ist aber der grüne Versuch, das ungestörte Auslaufen der Reaktoren als “Ausstieg” zu verkaufen und den Alleinanspruch auf den Atomausstieg zu erheben.
Gruppe Anna-Liese, Marburg