anti-atom-büro Hamburg: Über Ent-Sorgung und die Stilllegung des Atomkonfliktes

Einige Gedanken des anti-atom-büro Hamburg zu den Überlegung der Gruppe .ausgestrahlt, sich an der „Atommüll-Kommission“ des Bundes zu beteiligen. Eine Dokumentation der Umfrage findet ihr hier: Soll .ausgestrahlt in die Atommüll-Kommission?. Es gibt unsere Stellungnahme auch als pdf

Prolog

Seit mehr als dreißig Jahren wird im Niedersächsischen Salzstock Gorleben gebohrt, und mehr oder weniger engagiert nach einem sogenannten „Endlager“ gesucht. Phasen hektischen Dreischicht Betriebes wechseln sich mit Jahren kompletter Betriebsruhe (Moratorium) ab. Der Widerstand gegen das Projekt Gorleben war immer virulent, richtete sich nicht nach dem vermeintlichen bergbaulichen Fortschritt, sondern etablierte sich gegen die Anlieferung immer neuen Atommülls in das Zwischenlager Gorleben. Die Bewegung hatte darin ihren eigenen Beat, ihren eigenen Rhythmus gefunden, der den Konflikt um den Betrieb von Atomanlagen am Leben hielt, ihn immer wieder intensivierte und die Parteien vor sich her trieb, und immer wieder zu Konzessionen zwang: Verzicht auf das Nukleare Entsorgungszentrum Gorleben, „Atomkonsens“, Verbot innerdeutscher Castortransporte und später von Transporten in die WAA…

 

Nach dem massiven Widerstand gegen die Laufzeitverlängerung 2010 (Demonstration in Berlin, Menschenketten) und den Massenprotesten nach Fukushima, die der CDU die Regierung in Baden-Württemberg kostete, entstand eine Situation, in der der Betrieb von AKW gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar war.

Mit ihrer Entscheidung im Sommer 2011 8 AKW stillzulegen, nahm die schwarz/gelbe Bundesregierung der nach-Fukushima-anti-AKW-Bewegung, die sich vor allem gegen das GAU-Risiko von AKW richtete, die Spitze, und befriedete die parlamentarische Opposition.

Der Anti-Atom-Bewegung gelang es trotz diese Befriedungsangriffes die Dynamik gegen den Castor-Transport 2011 nach Gorleben noch ein weiteres Mal zu erhöhen, so dass dieser Transport gegen einen noch verbisseneren Widerstand, gerade entlang der Schiene, erneut länger bis zum Ziel brauchte als jemals zuvor. Der damalige CDU Ministerpräsident McAllister sah sich gezwungen in Berlin vorzusprechen und deutlich zu machen, dass Castortransporte nach Gorleben politisch nicht mehr durchsetzbar seien.

Mit dem heftigen Widerstand gegen den Castortransport nach Gorleben 2011 wurde deutlich, dass die Endlagerfrage immer noch eine, auch öffentlich über den Skandal um die Asse virulente, offene Flanke der Atomindustrie und der sie vertretenden Parteien darstellt.

Als politische Reaktion in dieser Auseinandersetzung, wird seit dem von Seiten der Atomindustrie und der Parteien mit Hochdruck an einer „Ent-Sorgung“ der Endlagerfrage gearbeitet, die von ihnen als letzte noch offene Frage im Atomkonflikt ausgemacht wurde. Jürgen Trittin formuliert es gegenüber dem Spiegel so: „Schaffe man den angestrebten Konsens … , dann sei „der letzte große Streitpunkt in der Atompolitik beseitigt.“ Durch den Wegfall der Castortransporte wird es für uns dabei schwieriger einzugreifen, die Auseinandersetzung verschiebt sich auf den „Diskurs“ um das Endlager. (siehe dazu: Textreihe #3: Atommüll ohne Ende)

Stand der Dinge

Es gibt nur wenige Themen, bei denen sich die größte Koalition aus CDU, FDP, SPD und Grünen so einig sind wie bei der „Ent-Sorgung“ des Atomthemas. Dementsprechend breit und umfassend sind auch die Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang ergriffen werden. Von der außerparlamentarischen Bewegung getrieben, besteht das erste Etappenziel nun vor allem darin, die Vorrangstellung der parlamentarischen Politik zu organisieren und zu festigen, den Konflikt von der Straße in die Institutionen zu ziehen.

Mit dem Einleiten eines Gesetzgebungsverfahren und dem Einrichten diverser Verwaltungsämtern greifen die Parteien zum üblichen Arsenal parlamentarischer Politik. Mit dem etablieren von Anhörungen und Kommissionen weiten sie ihren Machtanspruch jedoch auch offensiv in den Bereich der „Zivilgesellschaft“ hinein aus. Auch in diesen Verfahren versucht die parlamentarische Ebene sich als normativen Referenzpunkt zu setzen, ihre Hegemonie zu festigen.

Schon die Anzahl der Vertreter_innen macht deutlich wer hier „Herr des Verfahrens ist“. Die Rolle der Anti-AKW-Bewegung, die den Konflikt bisher maßgeblich bestimmt hat, wird auf zwei Kommissionsmitglieder, also auf das Niveau z.B. der Kirchen geschrumpft. Ihre Rolle als sorgenbefaltete und zu Weilen wütende Vertreter_innen der Kommission, die mit Verve ein engagiertes Minderheitenvotum zum Abschluss der Kommission vorlegen werden, ist nicht nur bereits „eingepreist“, sie ist auch unabdingbar, um dem Verfahren den Anschein einer breiten demokratischen Legitimation zu geben. Denn, wie Herr Kretschmann es ausdrückt, ein Endlager wird es nur „in einem großen nationalen Konsens“ geben. (Deutschland Radio 11.11.11)

Bewegungssicht

Aus Sicht der Anti-AKW-Bewegung gilt es mit diesem Integrationsangriff der parlamentarischen Ebene umzugehen. Die Chancen dafür stehen besser als je zu vor.Wir haben es geschafft in weiten Teilen der Bevölkerung Zweifel an der Eignung des Standortes Gorleben, und der Zuverlässigkeit der Gremien (Asseskandal) zu sähen.

Darüber hinaus haben sich seit einigen Jahren die Endlager-Standortinitiativen vernetzt, und treten gemeinsam gegen die Politik der Parteien auf. Mit der Installation der Atom-Müll-Konferenzen haben sie einen Ort geschaffen, an dem sie mit anderen Gruppen aus der Bewegung einen breiten Diskurs führen, wie mit dem Problem des nuklearen Erbes umgegangen werden soll. Dabei haben sich die Gruppen entlang ihren Interesses eine beeindruckende fachliche Kompetenz erarbeitet, und sich darüber hinaus auch offensiv in die Bewegung eingebracht. In keinem anderen Bereich der Bewegung finden aktuell Treffen dieser Größe statt. Diese Stärke hat dazu geführt, dass im Vorfeld der Kommission ein breites Bündnis von Bürger_innen-Initiativen bis hin zu Greenpeace geschmiedet werden konnte, das sich dem parlamentarischen Integrationsbegehren widersetzt hat.

Das Thema Endlager ist jener Bewegungsbereich, in dem wir nicht nur auf der Interventionsebene (CASTOR) die stärkste Gegenmacht organisiert haben, sondern auch die intensivsten Austausch- und Organisationsprozesse stattfinden.

Ausdruck dessen ist neben den Konferenzen z.B. der aktuelle Sorgenbericht, der ein gutes Beispiel von Gegenöffentlichkeit ist, und Wissen generiert, dass unseren Fragen folgt, und nicht den Interessen der Parteien und Institutionen. Viel Besser könnten wir nicht aufgestellt sein, um dem Versuch der parlamentarischen Politik das Thema Endlager zu Ent-Sorgen, entgegen zu treten.

Und dann das

Vor diesem Hintergrund verwirrt uns die zentrale Aussage Eures Papiers, die Für eine Teilnahme an der Kommission sprechen soll:

Die öffentlich sichtbare Auseinandersetzung um das Atommüll-Problem findet in den nächsten zwei Jahren hauptsächlich in der Kommission statt. ….Wir befürchten dass bestimmte Positionen, wenn sie nicht in der Kommission geäußert werden, nicht mehr öffentlich durchdringen.

Die in dieser Äußerung steckende Position nimmt die Hegemonie, das Primat der Parteien im Atomkonflikt bereits als gegeben an, nimmt die Niederlage im Ringen um Begriffe und gesellschaftliche Postionen bereits voraus. Macht also all das was wir in den letzten Jahren als Gegenmacht und Institutionen erarbeitet haben unsichtbar. Ihr verweist die Bewegung damit auf die passiven Zuschauerränge der „Öffentlichkeit“, und auf eine Statistenrolle im parlamentarischen Theater.
Das Ringen darum, was in die Öffentlichkeit „durchdringt“ geht unserer Meinung nach in eine neue, wichtige Phase, aber immerhin haben wir in den vergangenen Jahren bereits die „Sicherheit des Standortes Gorleben“ außerparlamentarisch soweit ausgehöhlt, dass er sich in weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr vermitteln lässt.

Wieso sollten wir ausgerechnet jetzt, in einem Moment relativer Bewegungsstärke, kapitulieren und uns einem parlamentarischen Verfahren unterordnen?

Nein!

Das sich die parlamentarische Politik gezwungen sieht ein zivilgesellschaftliches Beteiligungsverfahren zu inszenieren, ist Ausdruck unseres bisherigen Erfolges, und sollte Ansporn sein, in unseren Aktionen und Organisationen noch mal ein Pfund drauf zu legen.

In Bewegung bleiben!

Unsere Mächtigkeit ist dabei begrenzt und flatterhaft, ohne starke Institutionen und Organe, immer darauf angewiesen andere mit unseren Ideen und Einsichten anstecken zu können. So mächtig wir in manchen Momenten des CASTOR-Widerstandes sind, so ohnmächtig sind wir zu anderen Zeiten, wenn sich der Blick der Vielen, die uns beim CASTOR begleiten, auf andere Dinge richtet.
Diese temporäre Ohnmacht ist der Preis für die Un-abhängigkeit jeder Einzelnen, die einer freien Assoziation innewohnt.

Gerade in Phasen geringer Bewegungsintensität erscheinen die Verlockungen der institutionalisierten Macht um so attraktiver. Antiken Sirene gleich singen sie das Lied der Beteiligung, nur um Euch schließlich an den Klippen parlamentarischer Regularien und Zeitfenstern zerschellen zu lassen, solltet ihr Euch nicht vorher bereits totgerudert haben.

Nein, wir bitten Euch mit uns in einem Boot und damit „in Bewegung“ zu bleiben, und nicht den Verlockungen der anderen Seite der Macht zu erliegen.

Ach ja, was sagt eigentlich Foucault dazu?

„Dennoch sind die Subjekte den Diskursen nicht machtlos ausgeliefert. Gerade die Analyse der herrschenden Diskurse und die Selbstreflexion der eigenen (Sprecher_innen-)Position eröffnen Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Intervention und Veränderung. Denn der „Diskurs – dies lehrt uns immer wieder die Geschichte – ist auch nicht bloß das, was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: er ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht.“ (Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Paris 1972.)

In diesem Sinne

anti-atom-büro Hamburg
30 August 2013

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