Zu den “Energiepolitischen Thesen” von gegenstromberlin

Wir dokumentieren 13 Thesen der Gruppe gegenstrom, nicht weil wir sie alle richtig finden, sondern weil die Diskussion darum wichtig ist. Wir fragen uns  bei einigen Thesen schon, was sie bezwecken:

“Der Atomausstieg wird dieses Jahrzehnt kommen, das kann kaum noch ernsthaft bezweifelt werden.”

Eine solche Aussage finden wir angesichts der Macht der Atomkonzerne ziemlich fahrlässig, angesichts der Tatsache, dass ein “atomstromfreies Deutschland” für uns kein Bezugspunkt ist, ziemlich falsch und gleichzeitig auch merkwürdig, weil sie impliziert, sich jetzt ja anderen Dingen (dem Klimacamps?) zuwenden zu können, weil ja jetzt die CDU die Anti-Atom-Arbeit macht.

Diese Tendenz, verschiedene Aspekte der gesellschaftlichen Energieverhältnisse isoliert zu betrachten, widerspricht ja eigentlich der Intention des Textes, oder? Diese Tendenz zieht sich aber durch das Papier:

“Jedes Jahr sterben ungleich mehr Menschen an den Folgen des Klimawandels und mithin der Nutzung fossiler Brennstoffe, als an denen der Atomenergie.”

Was ist denn das für ein Argument? Das ist auch die Logik vom Atomforum, wenn sie darauf verweisen, dass mehr Menschen im Straßenverkehr sterben als durch AKW. Das Argument ist wahrscheinlich so alt wie die Anti-Atom-Bewegung. Von den FreundInnen der großen Atom- bzw. Energiekonzerne wurde und wird es eingesetzt, um den Kampf gegen Atomanlagen als irrational zu de-legitimieren. Das ihr jetzt in die gleiche Kerbe haut finden wir ziemlich bescheuert. Wir würden es so einschätzen, dass es selbst in Teilen der Anti-Atom-Bewegung, die sich eher am gesellschaftlichen Mainstream orientieren, Konsens ist, das wir für Energieverhältnisse kämpfen, in denen keine Menschen für Konzerninteressen sterben.

Soweit schon mal zwei kurze Anmerkungen. Wie gesagt, für uns stehen diese Argumente beim gemeinsamen Kampf für andere Energieverhältnisse blöd im Weg rum. Naja, wir melden uns vl. nochmal etwas ausführlicher dazu. Aber hier erst mal:

Energiepolitische Thesen von gegenstromberlin

  1. Die Katastrophe in Fukushima markiert eine Zäsur in der energiepolitischen Debatte hierzulande: Der Atomausstieg wird dieses Jahrzehnt kommen, das kann kaum noch ernsthaft bezweifelt werden. Das ist vor allem Resultat der Arbeit der Anti-Atom-Bewegung, und ihr bisher größter Sieg.
  2. In einer Situation, in der sogar die CSU für den baldigen Atomausstieg zu sein scheint, reicht es bei weitem nicht aus, die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen zu fordern. Wenn ‚von oben’ der ganze Energiesektor ins Visier genommen wird, müssen die sozialen Bewegungen das ebenso tun. Die Energiepolitik mag in Bewegung sein, aber wo sind die Bewegungen in der Energiepolitik?
  3. Wer vom Atomausstieg redet, darf zu den fossilen Energien nicht schweigen. Wir leben in einem primär fossilistischen, nicht einem nuklearen System (globaler Energiemix: ca. 80% fossile, 6% Atomenergie). Jedes Jahr sterben ungleich mehr Menschen an den Folgen des Klimawandels und mithin der Nutzung fossiler Brennstoffe, als an denen der Atomenergie. Die Diskussion um den Atomausstieg birgt die Gefahr, dass Kohle und Gas vorschnell als günstige, stabile und sichere Alternative verhandelt werden. Daher muss die Forderung sein, raus aus dem fossil-nuklearen Wahn, 100% erneuerbare Energien schnellstmöglich!
  4. Diese Energiewende muss auch eine Wende weg von Konzernmacht und Zentralisierung im Energiesektor, hin zu einer weitgehend dezentralisierten und lokalisierten Energieversorgung sein. Deswegen: ja zur Dezentralisierung, nein zu Großprojekten wie Desertec und gigantischen Offshore-Windparks, die vor allem massive staatliche Subventionsprogramme für den Versuch der ‚großen Vier’ Stromkonzerne wären, den erneuerbaren Sektor unter ihre Kontrolle zu bringen.
  5. Um den bisher äußerst effektiven Widerstand der großen Vier – RWE, E.On, Vattenfall und EnBW – gegen die Energiewende zu brechen, müssen diese direkt angegriffen werden, was angesichts ihrer Unpopularität durchaus machbar sein sollte: Stromkonzerne zerschlagen, Energieversorgung vergesellschaften!
  6. Die Keimzelle eines demokratisch organisierten Energiesektors werden die Stadtwerke und basisdemokratisch organisierte Energiegenossenschaften und -kooperativen sein. Diese sind in der Lage, den gesamten Energiesektor zu organisieren, und sie können, im Gegensatz zu Konzernen, basisdemokratisch organisiert werden – aber das wird nur geschehen, wenn wir es auch wirklich tun!
  7. „Die Energiewende wird teuer!“ tönen die Energiekonzerne. Klar, zum Nulltarif ist der grundlegende Umbau des gesamten Energiesystems nicht zu haben. Wahr ist aber auch: Die Energiekosten steigen bereits seit Jahren – trotz des angeblich billigen Atom- und Kohlestroms. Die Herausforderung ist darum eine dreifache: die Energieversorgung muss ökologisch sinnvoll, demokratisch organisiert und sozial gerecht sein. Das bedeutet einerseits massive (staatliche) Investitionen, und andererseits ein Ende der monopolistischen Preistreiberei der großen Vier.
  8. Die ökologische Frage ist eng verbunden mit der sozialen Frage. Steigende Energiepreise dürfen nicht zu ‚Energiearmut’ bei denjenigen führen, die ohnehin am wenigsten verbrauchen. Nur so ist auch die gesellschaftliche Akzeptanz für die erneuerbare Wende gesichert. Eine menschengerechte soziale Grundsicherung statt Armut per Hartz-IV ist daher eine zentrale Voraussetzung zur Lösung der ökologischen Frage.
  9. Die gesellschaftliche Basis dieser radikalen Wende muss eine breite Energiebewegung sein, bestehend aus der Anti-Atom-Bewegung, Anti-Kohle- und Anti-CCS-Initiativen, Klima-, Umwelt- und Globalisierungsbewegten, NGOs, progressiven Gewerkschaftsflügeln und Stadtwerken, und vielen mehr.
  10. Die einigende Klammer einer solchen Bewegung ist der Kampf für Energiedemokratie. Demokratie heißt, die Entscheidungen, die unser aller Leben prägen, gemeinsam und ohne Profitzwang treffen zu können. Dies, so glauben wir, können wir im Energiesektor heute schon verwirklichen. Der Ruf nach Energiedemokratie berührt den von vielen Menschen gefühlten Verlust von demokratischen Entscheidungskompetenzen nach 30 Jahren Neoliberalismus – er ist es, der den Kampf für die Energiewende gesellschaftlich mehrheitsfähig macht.
  11. Wenn wir unseren Kampf als einen für Energiedemokratie sehen, dann stellen sich auch die oft abfällig ziierten Initiativen gegen neue Stromtrassen, Windräder oder Pumpspeicher anders dar: Als Menschen, die fühlen, dass ihnen die Kontrolle über ihr Leben abhanden kommt. Auf der Basis dieses gemeinsamen Affekts können wir mit ihnen anfangen zu reden, und die Erfahrung zeigt: mehr Partizipation führt zu mehr Akzeptanz. Tun wir das nicht, werden sie mit Sicherheit gegen uns ausgespielt werden und uns signifikant schwächen, weil sonst die Beegung gespalten werden kann, und uns die Legitimität abgesprochen wird.
  12. Unsere Energiewende kann keine sein, die sich damit zufrieden gibt, den wahnsinnigen Wachstumszwang der Weltwirtschaft einfach nur mit anderen Energien zu füttern. Wenn wir die Klimakrise abwenden, und den Energiesektor ökologisch umbauen wollen, muss der gesellschaftliche Energieverbrauch drastisch sinken. Keine soziale und ökologische Energiewende ohne Wachstumskritik.
  13. Zusammenfassend: der Kampf für Energiedemokratie muss auf einer breiten Energiebewegung beruhen, deren Ziele die Sozialisierung, Ökologisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung des Energiesektors sind. Dass es zwischen diesen in konkreten Fällen zu Zielkonflikten kommen kann, ist uns klar – wir sind uns aber sicher, dass wir auf keines der Ziele verzichten können. Nicht moralisch, und schon gar nicht strategisch.
This entry was posted in Atomausstieg ist Handarbeit, Energieverhältnisse, Fukushima, Klimakrise and tagged , . Bookmark the permalink.