Nein zur Politik der Ohnmacht!

Eine Rede zum GAU in Fukushima auf der Demo in Köln am 12.3.2011

 

Nein zur Politik der Ohnmacht!

Der drohende atomare Gau in Japan verschlägt uns allen immer wieder die Sprache. Superlative müssen jeden Tag aufs Neue gefunden werden, um das scheinbar Unaussprechliche auszudrücken. Atom-Hölle, Katastrophe, Atom-Angst lauten die Titel der bürgerlichen Presse dieser Tage. Das Gefühl der Ohnmacht, das sich in uns breit macht, ist nicht nur eines aufgrund unserer wirklichen Lebenslage. Die Situation, dass wir eben nicht die Macht haben, hier und heute die AKW´s dicht zu machen. Das Gefühl der Ohnmacht ist auch ein Zustand, der von Medien und Politik geradzu beschworen wird.
Wir sitzen vor den Fernsehern und gucken uns Debatten von Politiker_innen und Wissenschaftler_innen an, die uns erklären, was ein Mikrosivert ist, wann der Strahlentod kommt oder auch nicht. Wir sitzen an den Radios und müssen uns von den Politiker_innen anhören, wir Atomkraftgegner_innen seien irrational. Wir, die wir den sofortigen Atomausstieg fordern, wären unrealistisch.
Ein radikaler Intellektueller beschrieb 1967 eine Situation, in der es in der modernen Gesellschaft keine grundsätzliche Opposition zu den herrschenden Auffassungen mehr gäbe und die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in die Paralyse geraten sei. Ich möchte euch ein paar Zeilen aus dem Vorwort seines Buches “Der eindimensionale Mensch” vortragen:

“Dient nicht die Bedrohung durch eine atomare Katastrophe, die das Menschengeschlecht auslöschen könnte, ebenso sehr dazu, gerade diejenigen Kräfte zu schützen, die diese Gefahr verewigen? Die Anstrengungen, eine solche Katastrophe zu verhindern, überschatten die Suche nach ihren etwaigen Ursachen in der gegenwärtigen Industriegesellschaft. Diese Ursachen werden von der Öffentlichkeit nicht festgestellt, bloßgelegt und angegriffen, weil sie gegenüber der nur zu offenkundigen Bedrohung von außen zurücktreten.”

Ich denke, dass seine Beschreibung auch sehr gut auf die jetzige Situation passt. Im Schrecken über die Katastrophe in Japan verschwindet die notwenige Frage nach dem Warum? Wieso hat die Japanische Regierung wie auch die deutschen Regierungen, die bekannten Risiken der Atomkraft in Kauf genommen? Japan besitzt 55 in Betrieb befindliche Reaktoren und damit nach den USA und Frankreich die höchste Anzahl an Atomkraftwerken in einem Land. Mehr als ein Drittel seines Strombedarfs wird aus AKWs gedeckt. Japans Atomindustrie ist der größte Exporteur von Atomtechnologie weltweit.
Dass Japan in einer extrem erdbebengefährdeten Zone liegt, hat dabei nie einen japanischen Politiker an der Atomkraft zweifeln lassen. Die japanischen AKWs seien bebensicher, hieß es immer wieder. Gegen Tsunamis sollten sie vom Meer her mit Mauern “geschützt” sein. Die Geschichte des japanischen AKW-Betriebes ist dabei genauso wie die deutsche Geschichte voll von Störfällen.
Schon vor einigen Jahren, anlässlich eines kleineren Erdbebens in der Region, schrammte das leistungsstärkste AKW der Welt, Kashiwazaki-Kariwa, welches auch von Tepco betrieben wird, knapp an einem Gau vorbei und musste dann für mehr als eineinhalb Jahre abgeschaltet werden. Damals stellte sich heraus, dass es auf einer Erdbebenlinie gebaut ist. Doch all diese Pannen und Vorfälle hat keine Regierung Japans von ihrer Sicht abbringen lassen, dass die Kernkraft ein Eckpfeiler, wenn nicht überhaupt die Grundlage des japanischen Wirtschaftserfolges ist. Die Atomenergie stelle den billigen Strom für die japanische Industrie her und sorge dadurch für die Konkurrenzfähigkeit Japans auf dem Weltmarkt. Außerdem sei sie selbst ein bedeutender Wirtschaftszweig und stehe für die zukunftsorientierte Technologie. Genau dieselben Argumente kennen wir aus den Atomdebatten in der BRD. Wo für die Frage nach der Endlagerung des Atomschrotts keine Antwort gefunden ist, wo Grenzwerte der Verstrahlung von Mensch und Natur nach politischem Kalkül festgelegt werden, da rechnen die Staaten nicht nach Maßgabe eines guten Lebens und Überlebens für alle Menschen. Da herrschen Faktoren wie Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft und Verwaltung der Atomkraft als nationales Konkurrenzmittel im Hauen und Stechen auf dem Weltmarkt.
Und damit komme ich zu jenem radikalen Intellektuellen von 1967 zurück, der einst die soziale Revolution in den Arbeiterräten Berlins mit vorantrieb, der vor den Nazis nach Amerika flüchten musste. Ich möchte nochmal aus Herbert Marcuses Vorwort zitieren: “Und doch ist diese Gesellschaft als Ganzes irrational. Ihre Produktivität zerstört die freie Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und Anlagen, ihr Friede wird durch die beständige Kriegsdrohung aufrecht erhalten, ihr Wachstum hängt ab von der Unterdrückung der realen Möglichkeiten, den Kampf ums Dasein zu befrieden – individuell, national und international.”
Nicht wir sind unrealistisch, nicht wir sind irrational. Was hier irrational unrealistisch ist, ist eine Gesellschaft von Staat, Nation und Kapital, die sich auf Ausbeutung und Unterdrückung gründet.

  • Der Atomausstieg bleibt Handarbeit und nicht die Aufgabe von Staaten.
  • Lasst uns nein sagen, zur Politik der Ohnmacht,
  • lasst uns nein sagen zur Atomkraft
  • und nein sagen zur Herrschaft der Gewalt und Ausbeutung.

Oder lasst es uns einfach mit Herbert Marcuses Worten sagen:

“Ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein ›Naturrecht‹ auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben […] Es gibt keinen anderen Richter über ihnen außer den eingesetzten Behörden, der Polizei und ihrem eigenen Gewissen. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte.”

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