AAP Berlin zu Castor Schottern 1.0

Castor? Schottern! Auswertungspapier vom  Anti-Atom-Plenum Berlin, Januar 2011

Der Stein bestimmt das Bewusstsein

Castor? Schottern! Auswertung und Ausblick

„Die Grünen schottern unsere Demokratie!“, schäumt der CSU Generalsekretär (SZ vom 13.11.2010 – für uns mit Blick auf die Grünen eine glatte Fehleinschätzung). Und immerhin:„Schottern“ liegt bei der Wahl zum Wort des Jahres 2010 auf Platz 6, noch vor Vuvuzela und Aschewolke. Die Gruppe TOP Berlin schottert in einer Veranstaltung, zumindest theoretisch, den Sozialstaat, und Aktivist_innen in Berlin schottern am 26.11.2010 die Sparpakete der Bundesregierung (Demotranspi). Das Bild der systemoppositionellen Maulwurfsarbeit war in diesem Herbst auch über das Themenfeld Anti-Atom hinaus äußerst wirkmächtig. Wir wollen in diesem Text aber vor allem Castor? Schottern! auswerten, also die Kampagne gegen den Atomtransport von La Hague nach Gorleben Anfang November 2010.

Die Aktion baute auf den Erfahrungen der Aktion „Zum Zug kommen“ aus dem Jahr 2008 auf, war aber deutlich größer angelegt. Getragen wurde Castor? Schottern! im Vergleich zu vergangenen Anti-Castor-Kampagnen von einem breiten Spektrum linker und linksradikaler Gruppen, von Autonomen über die Internventionistische Linke (IL) bis zu solid. Zunächst erscheint es uns für eine Auswertung wichtig, noch mal den Blick zurück zu werfen und zu reflektieren, wie es überhaupt zu diesem Bündnis kam. Ein Ausgangspunkt war die Unzufriedenheit in linksradikalen Teilen der Anti-Atom-Bewegung mit dezentralen Aktionen vergangener Jahre, da sie sowohl im Wendland als auch in Heiligendamm nicht wirklich befriedigende Ergebnisse erzielten. Gleichzeitig lässt sich in den letzten Jahren unserer Wahrnehmung nach in Teilen der IL und anderer radikal linker Kreise eine Öffnung hin zu einem stärker konfrontativen Agieren bei der Organisierung von Massenaktionen beobachten. Im Vergleich zur Aktion Block-G8 reicht ein Auf-der-Straße-Sitzen hier vielen nicht mehr als Politik- und Widerstandsform gegen staatliche Gewaltpolitiken, Naziaufmärsche etc. aus. In der Vorbereitung von Castor? Schottern! fanden sich also unterschiedliche Suchprozesse, was im Verein mit der Legitimationskrise der politisch und ökonomisch Herrschenden in Sachen Atompolitik und Stuttgart21 eine ganz günstige Ausgangssituation für die Kampagne war.

Für uns stand bei Castor? Schottern! das ausgehandelte Aktionsbild im Mittelpunkt: Die Symbolik des Untergrabens von Infrastruktur der kapitalistischen (und fossilistisch-nuklearen) Ordnung mit Tausenden entschlossenen Aktivist_innen fanden und finden wir äußerst charmant. Gleichzeitig erhofften wir uns, verloren gegangene Handlungsspielräume in Richtung Massenmilitanz wieder zu eröffnen und anzueignen. Hier sehen wir auch den hauptsächlichen Erfolg der Kampagne.

 

Was ist eigentlich ein Erfolg?

Durch den Wald laufend und auch im Nachhinein lässt sich festhalten: Castor? Schottern! war tatsächlich eine mobilisierende und vor allem motivierende Massenaktion. Wir waren schwer beeindruckt von gut 4000 Aktivist_innen auf dem Weg zur Schiene – mit einem unmissverständlichen Ziel. Wir waren beeindruckt von der großen Entschlossenheit während der Aktion, von der Tatsache, dass wir uns nicht von einem riesigen und vor allem aggressiven Haufen Bullen haben einschüchtern lassen, von den vielen jungen Aktivist_innen, die sich mit einer großen Selbstverständlichkeit gepolstert und geschützt haben. Mit der Kritik an Castor schottern!, es seien reihenweise Leute „verheizt“ worden, passt das u.E. nicht zusammen. Wir sind zwar der Meinung, dass es in der Vorbereitung durchaus sinnvoll gewesen wäre, dem Faktor „Bullengewalt“ mehr Gewicht zu geben, als das häufig der Fall war. Sicherlich hätte das Einigen, die das Durchprügeln des Castors im Wendland durch die Staatsmacht zum ersten Mal erlebt haben, einiges an schmerzhafter Überraschung und Erfahrung erspart. Dennoch, wir haben gemeinsam entschlossen gehandelt, was für uns und wohl auch für viele andere eine wichtige Erfahrung war. Wir haben den Eindruck, unser Handlungsspielraum ist dadurch durchaus größer geworden. Vor allem deshalb sehen wir die Aktion als Erfolg.

Der konkrete materielle Schaden war kleiner als erhofft und hielt den Castor nicht direkt auf. Vermittelt über die Beschäftigung der Bullen und in Zusammenspiel mit den anderen Blockaden haben wir sicherlich unsern Teil zu seiner massiven Verspätung beigetragen. Aber mit dem weggeräumten Schotter konnten wir nicht wirklich beeindrucken. Und auch wenn wir nicht denken, dass sich der Erfolg hauptsächlich daran misst, ist das Verhältnis zwischen symbolischer und materieller Wirkung nicht zu unterschätzen: Wäre bspw. der zweite (aus dem Süden der dritte) Anlauf gescheitert, wären nicht wenige frustriert gewesen. Sympathisierende Medienberichte allein machen den Kohl nicht fett: Der Stein bestimmt das Bewusstsein – zumindest zum Teil.

Den Atomstaat in Form von bewaffneten Bullen auf den Schienen – als ein vorgeschobener Schützengraben bürgerlicher Hegemonie – haben wir mit Castor? Schottern! sicher nicht ins Wanken gebracht. Aber den für Herrschaft nicht weniger wichtigen Kitt der (Medien-)Diskurse, die diesen Atomstaat legitimieren, konnten wir temporär und zumindest bezogen auf das Wendland zerbröseln. Die Medienrandale war beachtlich. In den Mainstream-Medien wurde das Schottern heiß diskutiert, und dabei fiel es offensichtlich vielen schwer, sich im Kontext der schon angesprochenen Legitimitätskrise der liberal-konservativen Koalition von unserer sympathischen Sabotageaktion zu distanzieren. Nicht von ungefähr machte sich der niedersächsische Innenminister Sorgen, das die Unterstützung für Castor? Schottern! deutlich über den Kreis der üblichen Verdächtigen hinausreichte. Und dass Charlotte Roche darauf hinwies, dass das Schottern keine „Gewalt“ ist, sondern schlicht angemessen, ist bemerkenswert. Wir waren also ganz erfolgreiche Diskurspirat_innen und haben die Legitimitätsgrenzen was Massenaktionen angeht in den Medien wie auch innerhalb der Anti-Atom-Bewegung zu unseren Gunsten verschoben.

 

Fehleinschätzungen und Fragen

Eine Fehleinschätzung im Vorfeld von Castor? Schottern! war aus unserer Sicht die implizite Annahme, dass die Reaktion der Bullen auf uns davon abhängen würde, wie wir ihnen in der konkreten Aktion begegnen. Nach dem Motto: Wenn wir den Bullen nix tun, dann tun die uns auch nix.. In der Aktion hat sich gezeigt, dass die Reaktion der Bullen primär vom Ziel der Aktion, in dem Fall das Schottern der Gleise, und dessen Bewertung durch den bürgerlichen Staatsapparat abhängt und kaum von unserem Verhalten ihnen gegenüber. Mit anderen Worten: Nicht erst das Wie wir zu den Gleisen kommen, bildet die Legitimationsgrundlage für massiven Knüppel- und Pfeffersprayeinsatz, sondern bereits das Was wir dort wollen. Hierin zeigt sich, dass die Handlungsspielräume für massenmilitantes Agieren im wahrsten Sinne des Wortes erst wieder erkämpft werden müssen.

Jenseits spezifischer Fehleinschätzungen stellen sich für uns einige grundsätzlichere Fragen. Wie sinnvoll ist bspw. der Bezug auf „zivilen Ungehorsam“? Der Begriff waberte teilweise durch die Castor? Schottern! – Vorbereitung und stand zum Teil sehr unvermittelt neben anderen Begriffen wie Sabotage oder Massenmilitanz. Wir denken, dass uns „ziviler Ungehorsam“ auf einen sehr starren und herrschaftsförmigen Rahmen beschränkt. Wir verstehen uns nicht als besorgte Bürger_innen, die in Einzelfällen wie Stuttgart21 konkrete, sehr berechenbare Regelverletzungen begehen, um größeres Unrecht zu verhindern. Unser Anliegen ist radikale Gesellschaftskritik, und das eben nicht nur als punktuelle Regelüberschreitung. Insofern ist der Widerstand gegen Atomkraft für uns ein Feld, in dem sich ein grundlegender gesellschaftlicher Konflikt zeigt, der weit über Gorleben und die Endlagerdebatte hinausgeht: Es geht dabei gegen das Profite machen mit mörderischen Großtechnologien. Es geht gegen die völlig verrückte Annahme, Staat und Konzerne könnten über solche folgenreichen Technologiepfade und über Energiepolitik insgesamt entscheiden. Und vor allem: Im Konflikt um Atomenergie hat sich – wohlgemerkt nicht erst seit Castor-Schottern! – eine Widerstandskultur entwickelt, in welcher der starre Rahmen der Verfassung viele schlichtweg nicht schert. Insofern ist für uns die Stärkung des Begriffes „ziviler Ungehorsam“ im Kontext der Anti-Atom-Bewegung ein Rückschritt.

Gleichzeitig waren wir etwas irritiert von der gähnenden Leere Montagmorgen im Schotter-Camp Köhlingen. Da stand der Castor gerade noch mitten im Aktionsgebiet, es hätte also noch lohnende Alternativen zur Abreise gegeben. So sehr wir nachvollziehen können, dass viele im neoliberalen Zeitregime und in prekären Arbeitsverhältnissen nicht die Zeit und die Kraft haben, eine Woche oder länger im Wendland zu sein, stellen sich doch ein paar Fragen: Sehen wir unsere Mobilisierungen und Widerstands-Aktionen nur noch als ein kreatives Projekt unter vielen anderen? Knüpfen wir an Castor? Schottern! nur an, weil es jetzt eine erfolgreiche Marke ist? Oder folgt wieder etwas Neues? Nach welchen Maßstäben werden „lohnende Projekte“ ausgewählt? Möglichst viel Medienresonanz bei möglichst wenig Ressourceneinsatz? (Vgl. Schönberger in ak554 und Seibert in ak555)

Und an diese Gedanken anknüpfend, irritiert uns auch die Formulierung der Gruppe fels ein wenig. Sie schreiben in ihrem Auswertungspapier, das Wendland sei ein „Labor des Widerstands“: „Vor allem aber ist das Wendland der Ort, an dem wir zu Tausenden zusammen kommen können, um einerseits Aktionsformen zu testen und zu verfeinern und andererseits unsere Handlungsmacht erkennen und nutzen können.“  Ein austauschbares laborähnliches Experimentierfeld ist das Wendland für uns nicht. Es ist vielmehr ein sozialer Ort, an dem seit Jahrzehnten ein handfestes Ringen und Boxen um konkrete und radikale gesellschaftliche Veränderung stattfindet – die angesprochene Handlungsmacht ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern maßgeblich im Wendland gewachsen. In Lubmin bspw. wäre Castor? Schottern! so nicht möglich gewesen.

 

Und was schottern wir jetzt?

Na klar, wir sollten an die Erfahrungen von Castor? Schottern! anknüpfen. Nötig wäre hierfür unserer Meinung nach ein spektrenübergreifender Austausch über Erfolgskriterien, also über die schlichte Frage: Was wollen wir eigentlich erreichen? Wir sehen hier ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel, in den Medien präsent zu sein auf der einen Seite – und der Stärkung und Entwicklung der eigenen Kräfte, also der Wirkung nach innen, auf der anderen. Diesen Eindruck haben wir nicht nur angesichts der sehr professionalisierten Pressearbeit von Castor? Schottern! , sondern bspw. auch angesichts der geballten Sympathie vieler Autonomer für fetzige Berichte und Bilder in der Boulevard-Presse.

Wir finden das Presseecho einer Aktion nicht irrelevant, aber wie oben erwähnt: Vor Allem wollen wir die Selbstorganisierung und Selbstermächtigung von Aktivist_innen dauerhaft stärken und gemeinsam Handlungsspielräume erweitern. Hier sehen wir mit Blick auf Castor? Schottern! positive Aspekte, z.B. in den vielen organisierten Trainings. Während der Aktion selbst spielte aber die „Führung“ der Aktivist_innen eine zu große Rolle. Wir würden uns hier in Zukunft von vorneherein mehr Spontaneität und Vertrauen in Basis-Strukturen wie Deli-Plena wünschen und denken, dass wir damit auch ein Manko von Schottern 2010 ausräumen könnten: unsere im Verlauf der Aktion zu große Berechenbarkeit für die Gegenseite.

Anti-Atom-Plenum Berlin, Dezember 2010

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